Weltweit als einer der großen Dichter des gesellschaftlichen Bewusstseins anerkannt, darf man den dissidenten türkischen Autor Nâzım Hikmet als notwendigen Dichter des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Hikmets episches Meisterwerk Menschenlandschaften, das am Eröffnungswochenende des steirischen herbst in der Aufführung des Brüsseler Choreografen Michiel Vandevelde zu sehen ist, ist ein collageartiges Werk, getragen von der Grundvorstellung des Dichters als Sänger, der die Geschichte seines Stammes erzählt. Die Menschen, die Hikmet auf brillante Weise beschreibt, sind einfache Menschen; sie werden mit einer Sprache heraufbeschworen, die spielerisch und diesseitig, musikalisch, aber auch sozial und sogar romanhaft ist – beinahe Joyceanisch. Auf diese Weise ersteht aus seinem Werk eine Vielstimmigkeit, die von gesellschaftlichen Informationen durchdrungen und durch lyrisches Gefühl und menschliches Streben belebt ist. Die Lesung und Diskussion an diesem Abend konzentriert sich auf Textauszüge aus Hikmets Menschenlandschaften, die vom Literaturkritiker Erhan Altan, Moderator der Veranstaltung, ausgewählt wurden. Gelesen werden die Texte von der Künstlerin Betül Seyma Küpeli*; im Anschluss daran folgt ein Gespräch mit Erich Klein, Kerem Öktem und Betül Seyma Küpeli, die Hikmets politisch engagiertes literarisches Schaffen diskutieren und über aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen reflektieren, einschließlich der Populismus-Debatte sowie des stets zwiespältigen Begriffs des „Volkes“ in Österreich und der Türkei.
Nâzım Hikmets Menschenlandschaften. Eine polyphone Gesellschaftskritik
Lesung und Gespräch
4.10., 19:00
Literaturhaus Graz
Elisabethstrasse 30
8010 Graz
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Deutsch
Freier Eintritt mit
Festival-Pass
Mit:
Erhan Altan
Erich Klein
Kerem Öktem
Betül Seyma Küpeli*
Einführung und Moderation: Erhan Altan
Lesung: Betül Seyma Küpeli
Eine Kollaboration von Literaturhaus und steirischer herbst
*Programmänderung: Die Künstlerin und Rapperin Esra Özmen hat ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt, da sie eingeladen wurde, am selben Tag in Wien im Rahmen der Demonstration „Ab 4. Oktober ist wieder Donnerstag!“ aufzutreten. Vertreten wird Özmen von ihrer Kollegin, der Künstlerin, Architektin und Kulturarbeiterin Betül Seyma Küpeli, die gemeinsam mit ihr den Rap-Chor leitet. Küpeli macht unter dem Künstlernamen Shayma selbst Musik.
Erhan Altan (1963, Istanbul) ist Übersetzer, Essayist und Literaturvermittler; er arbeitet vermehrt zur österreichischen Avantgarde und türkischen Poesiegeschichte. Er ist Lektor der Reihe Österreichische Bibliothek beim Istanbuler Pan Verlag und organisiert Projekte und Veranstaltungen zwischen Österreich und der Türkei. Er lebt in Wien.
Erich Klein (1961, Altenburg, Österreich) ist Übersetzer, Publizist, Kurator und Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift Wespennest in Wien. Zu seinen letzten Veröffentlichungen gehören: Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs, Denkwürdiges Wien und Graue Donau, schwarzes Meer. 2013 erhielt Klein den österreichischen Staatspreis für Literaturkritik. Er lebt in Wien.
Kerem Öktem (1969, Gelsenkirchen) ist Professor für Southeast European Studies and Modern Turkey am Zentrum für Südosteuropastudien (CSEES) an der Universität Graz. Seine Forschungsbereiche umfassen Politik und internationale Beziehungen der Türkei, die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU, Nationalismusforschung sowie die Erforschung von muslimischen Gemeinschaften auf dem Balkan und in Westeuropa. Er lebt in Graz, Oxford und Istanbul.
Betül Seyma Küpeli (1987, Wien) ist bildende Künstlerin, Architektin und Kulturarbeiterin. Unter anderem beschäftigt sie sich mit urbanem öffentlichem Raum und dessen (Wieder-)Aneignung im neoliberalen Kapitalismus – mit einem anderen Verständnis von Stadt(-politik) bzw. der Beziehung zwischen Gesellschaft und Geschichte sowie Migration und Asyl. Seit 2017 ist sie im Rahmen des Projekts StadtRecherchen im Burgtheater, Wien, tätig und ist gemeinsam mit Esra Özmen künstlerische Leiterin des Rap Chors.