Vorherbst Magazine
20.9.18
Text

steirischer herbst’18 opening at Europaplatz today

An excerpt of Ekaterina Degot’s introductory speech—given in the midst of a space of transition.
Opening of steirischer herbst’18, Europaplatz Graz, photo: Jasper Kettner
Opening of steirischer herbst’18, Europaplatz Graz, photo: Jasper Kettner

[EN] The place we are all standing now is called Europe Square, Europaplatz. This might be news to some of you, as this is obviously and plainly a railway station square, a Bahnhofsplatz. Indeed, that was its name until 1972 when it was proudly upgraded to Europe Square. It was an optimistic year, with a strong social-democratic triangle in power—Willy Brandt, Olof Palme, and Bruno Kreisky. A good year to have European ambitions.

In fact, there are many Europe Squares in Europe, and, strangely, they are often at railway stations, as if Europe was permanently elsewhere, always at least a train ride away. This is the case in Berlin as it is in Vienna. These squares are usually non-places. You would not remember their name. You would not even remember them as squares—rather, they are transitional zones, parcours of migration, racetracks for the quitters and the newcomers, a home for the displaced and the self-displacing, for the homesick and the homeless.

When I was invited to run steirischer herbst and first came here last year, I immediately knew that the festival would have to begin here, in public space, in a part of town still coded as unprivileged. I wanted us to start in the midst of this space of transition, a space where both locals and outsiders, Austrians and foreigners mix and share a state of flux, that—for some—is permanent.

As this speech started to emerge in my head slowly over the last days, it was lacking a beginning. I asked myself whom I should be addressing. Should I say “dear festival visitors,” “dear friends and colleagues,” or “esteemed journalists, sponsors and supporters”?

Or should I also—or instead?—aim at reaching out to random passersby on the station square as they rush to or from their daily commute after a hard day’s work, their heavy bags brushing over us while they drift toward their homes?

[DE] Der Platz, auf dem wir uns heute versammeln, heißt Europaplatz. Manche von Ihnen wissen das vielleicht gar nicht, denn dies ist offenkundig und unverkennbar ein Bahnhofsplatz. Genau so hieß dieser Platz auch, bevor er 1972 voller Stolz zum Europaplatz aufgewertet wurde. 1972 war ein Jahr des Optimismus, denn in der Politik gab mit Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky ein starkes sozialdemokratisches Trio den Ton an. 1972 war ein gutes Jahr für das europäische Projekt.

Tatsächlich gibt es viele Europaplätze in Europa, die seltsamerweise oft an Bahnhöfen liegen, als befinde sich Europa stets anderswo und immer mindestens eine Zugreise weit entfernt. Nicht anders ist es in Berlin und Wien. Europaplätze sind in der Regel Nicht-Orte. Man kann ihren Namen kaum behalten und sie nicht einmal als Plätze im Gedächtnis bewahren. Sie sind Übergangszonen, Rundkurse der Migration, Rennbahnen für Aufbrechende und Neuankömmlinge, Heimat der Vertriebenen und von sich selbst Entrückten, sowie der Heimwehkranken und der Obdachlosen.

Als ich eingeladen wurde, den steirischen herbst zu leiten, und im vergangenen Jahr in dieser Funktion erstmals nach Graz kam, war ich mir schon im allerersten Augenblick sicher, dass das Festival nirgendwo anders beginnen kann als hier – im öffentlichen Raum und in einem Teil der Stadt, der einstweilen noch nicht zu ihrer bevorzugten Lage gehört. Ich wollte, dass wir den Anfang in diesem Durchgangsraum machen, dass wir uns versammeln, wo Einheimische und Außenseiter, Österreicherinnen und Österreicher und Fremde durcheinanderströmen und allesamt einer Unbeständigkeit anheimfallen, die für so manche ein Dauerzustand ist.

Während diese Rede in den vergangenen Tagen allmählich in meinem Kopf Gestalt annahm, suchte ich nach einem Anfang jedoch lange Zeit vergeblich. Ich fragte mich, wen ich eigentlich ansprechen wollte. Sollte ich mich an die „lieben Besucherinnen und Besucher des Festivals“, an meine „lieben Freunde und Kolleginnen“ oder gar an die „geschätzten Pressevertreter, Sponsorinnen und Unterstützer“ wenden? Sollte ich außerdem noch – oder stattdessen – versuchen, die Aufmerksamkeit zufälliger Passanten auf diesem Bahnhofsvorplatz zu gewinnen? Dieser Vorbeieilenden, die uns auf dem täglichen Weg von oder zu ihrem harten Tagwerk mitsamt ihrem schweren Gepäck anrempeln?